Bundesregierung beschließt erste Nationale Sicherheitsstratgeie für Deutschland
Nach langen internen Diskussionen hat die Bundesregierung erstmals eine Nationale Sicherheitsstrategie für Deutschland beschlossen. Im Kern stehe ein umfassender Ansatz zur Abwehr von Bedrohungen, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Berlin. Es gehe nicht nur um Verteidigungspolitik, sondern "um die ganze Palette unserer Sicherheit". Die Strategie setzt auch auf eine Stärkung der Bundeswehr durch dauerhaft höhere Verteidigungsausgaben: Bereits im kommenden Jahr will Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erfüllen.
Erreicht wird dieses Ziel, weil der Bundeswehr aus dem 100 Milliarden Euro umfassenden Sondervermögen zusätzliche Mittel zur Verfügung stehen, wie Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sagte. Lindner kündigte eine stärkere Ausrichtung der nächsten Bundeshaushalte nach Sicherheitsbelangen an. Kanzler Scholz sagte, das Ziel, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben, werde auch nach Aufbrauchen des Sondervermögens "maßgeblich" bleiben.
Der Kanzler wies bei der Vorstellung des Papiers auf die massive Veränderung der Bedrohungslage durch den russischen Überfall auf die Ukraine hin. "Alle Mittel und Instrumente müssen ineinandergreifen, um unser Land vor Bedrohung von außen zu sichern", sagte Scholz.
Als Beispiele nannte der Kanzler neben dem militärischen Schutz auch die Entwicklungszusammenarbeit, die Sicherheit vor Cyberangriffen und die Resilienz von Lieferketten. "Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit, keine Stabilität und auch keinen Wohlstand", unterstrich der Kanzler.
Kerngedanke der Strategie ist nach Worten von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ein Konzept der "integrierten Sicherheit". Dies bedeute, "dass alle relevanten Akteure, Mittel und Instrumente zusammenwirken und so ineinandergreifen, dass die Sicherheit unseres Landes umfassend erhalten bleibt".
Die Opposition kritisierte die Strategie als zu vage. Das Konzept sei "inhaltlich blutleer, strategisch irrelevant und außenpolitisch folgenlos", sagte Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU). Linken-Fraktionschef Dietmar Barsch bezeichnete das Konzept gegenüber der Mediengruppe Bayern als "lückenhaft und ideologisch überladen". Mehrere Landespolitiker warfen dem Bund vor, die Länder nicht ausreichend eingebunden zu haben.
Die 74-seitige Strategie orientiert sich an drei "zentralen Dimensionen" der Sicherheitspolitik: Wehrhaftigkeit, Resilienz und Nachhaltigkeit. Zum Bereich Wehrhaftigkeit zählen die Stärkung von Bundeswehr, Zivilverteidigung und Bevölkerungsschutz, wie es in dem Papier heißt.
Im Bereich Resilienz geht es um die Verteidigung "unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung gegen illegitime Einflussnahme von außen". Im Bereich Nachhaltigkeit geht es um die Bekämpfung der Klima-, Biodiversität- und Ökosystemkrise, die Stärkung der Ernährungssicherheit und der Pandemieprävention.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wies auf konkrete Anwendungsbereiche der Sicherheitsstrategie hin: Sie nannte Terrorismus und Extremismus, organisierte Kriminalität, Angriffe auf kritische Infrastrukturen, Cyberattacken, Spionage, Desinformationskampagnen und illegale Finanzflüsse, aber auch Naturkatastrophen und Folgen der Klimakrise.
Die Ampel-Parteien hatten die Ausarbeitung der Strategie bereits in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart - also noch vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine. Die Vorlage des Papiers hatte sich zuletzt allerdings immer wieder verzögert, unter anderem wegen eines Kompetenzgerangels zwischen Auswärtigem Amt und Kanzleramt.
Auf die vor allem von der FDP gewünschte Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats wurde letztlich verzichtet - weil die Koalition "einen größeren Mehrwert" durch ein solches Gremiums nicht erkennen konnte, wie Kanzler Scholz sagte.
H.Graumann--HHA